Jetzt kommt die digitale Praxis

Deutschlands Gesundheitsbranche steht vor einem Innovationsschub.

Lange und kontrovers wurde diskutiert, doch im Mai dieses Jahres hat sich der Ärztetag endlich entschieden: Fernbehandlungen sind in Deutschland nicht mehr generell verboten, Patienten dürfen nun in Ausnahmefällen auch ohne persönliche Erstkonsultation per Telefon oder digital – etwa im Rahmen einer Videosprechstunde – behandelt werden. „Diese Entscheidung wird der Digitalisierung der Branche einen Schub geben“, ist Daniel Zehnich von der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank) überzeugt. Der Leiter des Bereichs Gesundheitsmärkte und Gesundheitspolitik erwartet, dass die bislang oftmals zurückhaltend agierenden Ärzte nun verstärkt die digitale Technik ins Visier nehmen.
Die Mehrheit der Bundesbürger gibt sich jedenfalls offen für Neues. „Den Komfort, mit wenigen Klicks zum gewünschten Ergebnis zu kommen, erwartet der Patient zunehmend auch von den Heilberuflern und fordert neue digitale Angebote, Innovationen und Services“, bekräftigt Zehnich. Das ist kein Lippenbekenntnis, die apoBank hat diesen Eindruck mit einer aktuellen Onlinebefragung bestätigt bekommen. Danach können sich 60 Prozent aller Befragten vorstellen, digital mit ihrem Arzt zu kommunizieren. Am liebsten per Telefon, aber auch über Videochat, E-Mail, WhatsApp oder Messenger. Gleichzeitig erkennen aber auch 83 Prozent: In Sachen Digitalisierung steckt das Gesundheitswesen hierzulande noch in den Kinderschuhen.
Doch das ändert sich jetzt. Die apoBank in Düsseldorf selbst ist ein Beispiel dafür. Die auf die Heilberufe spezialisierte genossenschaftliche Bank hat zum Jahresbeginn das „Kompetenzzentrum apoHealth“ gegründet. „Wir wollen damit nicht nur unsere eigenen Berater fit für die digitale Welt machen“, erläutert Daniel Zehnich. Das Finanzinstitut sieht sich dabei als Wissens- und Diskussionstreiber, um seinen Kunden den Weg in die digitale Welt zu ebnen. Pilotprojekte werden entwickelt, Start-ups unterstützt – alles unter der Maxime, den Nutzen der neuen Technologien für Heilberufler erlebbar zu machen.
Das packt die apoBank mitunter ganz praktisch an, wie der soeben erschienene Leitfaden „Digitalisierung in der Praxis“ beweist: Hier reichen die zahlreichen Tipps vom Aufbau einer einfachen Homepage über den Umgang
mit Arztbewertungsportalen bis zur Videosprechstunde.
Gleichzeitig warnt der Bereichsleiter davor, bedingungslos auf digitale Lösungen zu setzen. Deutlich wird das am Beispiel Online-Terminvereinbarung: Was im Internet selbstverständlich ist, ist in der Branche umstritten. „Für die einen ist die Online-Terminvereinbarung eine Entlastung des Praxispersonals sowie ein willkommenes Zusatz-
angebot für die Patienten, viele Ärzte wollen aber die Hoheit über ihren Terminkalender nicht gänzlich abgeben“, so Zehnich. „Manchmal lässt sich eben nur während einer telefonischen Terminvereinbarung klären, wieviel Zeit der Patient tatsächlich für die Konsultation benötigt. Aber auch dafür gibt es bereits intelligente digitale Lösungen.“
Die apoBank sieht die Entwicklung hin zu digitalen Lösungen insgesamt sehr positiv für Ärzte und Patienten – wenn sie einen Nutzen haben. Videosprechstunden eröffnen zum Beispiel insbesondere in ländlichen Regionen, wo Mediziner Mangelware sind, neue Möglichkeiten. Patienten und Ärzte sparen sich lange Wege, vor allem bei der Betreuung von chronischen Krankheiten, wenn nur schnell etwas zu klären ist oder Folgerezepte ausgestellt werden müssen. „Allerdings müssen diese Innovationen auch finanziell attraktiv sein – aktuell ist die Vergütung hier zu gering“, kritisiert Daniel Zehnich.
An Investitionen werden die Ärzte ohnehin nicht vorbeikommen. Spätestens 2019 soll die digitale Fahrbahn für den Gesundheitsmarkt fertiggestellt sein. Verantwortlich ist dafür die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbh (gematik), die der Gesundheitswirtschaft den Anschluss an eine zentrale Plattform ermöglicht. Die Investitionen dafür (Konnektor, Kartenlesegerät, elektronischer Praxisausweis) werden zwar erstattet. „Doch gleichzeitig werden Ärzte und Apotheker in ihre eigene digitale Infrastruktur investieren müssen“, mahnt Zehnich an. So gilt es unter anderem, die rund 200 verschiedenen IT-Systeme, die im deutschen Gesundheitsmarkt aktuell laufen, miteinander kompatibel zu machen. „Die Ärzte müssen prüfen, wie sie bestehende Prozesse digitalisieren können: vom Praxisverwaltungssystem über Kommunikationsservices bis hin zu Markenauftritt, Homepage, Online-Terminvereinbarung und Videosprechstunde“, ergänzt er.
Das bedeutet aber auch: Die Anforderungen an die Heilberufe und das Personal verändern sich. „Das ist eine Herausforderung für die gesamte Branche, denn wir wissen, dass das Praxispersonal oftmals nicht alle Möglichkeiten der heutigen Software-Systeme kennt“, berichtet der apoBank-Experte. Die Digitalisierung wird vieles verändern, eines aber nicht: „Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient wird bestehen bleiben, der Arzt wird jedoch stärker die Rolle eines Lotsen einnehmen.“

José Macias

Experte

Daniel Zehnich

Deutsche Apotheker- und Ärztebank (apoBank)

„Der Patient fordert neue digitale Angebote, Innovationen und Services“



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